KÜNSTLER
Roman Bezjak
+ SOCIALIST MODERNISM, 2005—20011
Three Widows, Belgrade, 2005;
Pigment-Inkjetprint, 176 × 140 cm
Bereits in den 1990er Jahren, in denen
er als Magazin-Fotograf tätig war, lag ein
Schwerpunkt seiner journalistischen Arbeiten
in den osteuropäischen Ländern.
Verbunden mit der Absicht, die dortigen
Veränderungen aufzuzeigen (Der geteilte
Himmel). Diesem Interesse ist er seit
2005 weiter nachgegangen, jetzt aber mit
der Großbildkamera und mit dem Blick
auf die sozialistische Moderne in der Architektur.
Die architektonischen Zeugnisse
vergangener Jahre sind in seinen
Bildern Sinnträger in des Wortes primärer
Bedeutung. Einst gebaute Utopie
für den neuen, sozialistischen Menschen,
fein differenziert, je nach Land und
Region. Einzelne Bauten wie ganze Ensembles
nehmen den Charakter von
Metaphern an. An ihnen, an ihren Äußerlichkeiten
und dem, was mit ihnen passiert
ist, lässt sich seismografisch ablesen,
was sie einmal sein sollten und was aus
ihnen im Zuge der Verwandlungen nach
dem Zerfall der Sowjetunion geworden
ist: Schnittstellen zwischen Vergangenheit
und Zukunft.
Katharina Bosse
+ A PORTRAIT OF THE ARTIST AS A YOUNG MOTHER, 2005—2007
Zwei Bäume;
C-Print, 160 × 125 cm
Bekannt geworden ist Katharina Bosse
vor allem mit den Publikationen Surface
Tension (2000) und New Burlesque
(2003). Darin behandelt sie das sich
seit Jahren merklich wandelnde Bild von
Körperlichkeit. Von 2003 an, als sie ihr
erstes Kind bekam, bis 2009, und nach der
Geburt ihres zweiten Kindes, richtete sie
den Kamerablick auf sich selbst. Im
Mittelpunkt standen für sie die Widersprüchlichkeiten
zwischen der wertebewahrenden
Rolle der Mutter und der
normbrechenden Künstlerin. In der
A Portrait of the Artist as a Young Mother
betitelten Arbeit inszeniert sie sich
mithilfe jeweils wechselnder Assistenz
an ausgesuchten Orten und mit ebenso
sorgfältig ausgewählten Accessoires.
Obwohl sie sich selbst zur Projektionsfläche
macht, müssen die ikonografischen
Vorbilder, wie die Marienbildnisse, die
symbolischen Werte bestimmter Accessoires
und andere semantisch besetzte
Bildzeichen überindividuell konnotiert und
interpretiert werden.
Jörg Boström
+ OBDACHLOSE, DÜSSELDORF, 1970
Obdachlose in Düsseldorf, 1970;
Digitalprint, 42 × 30,5 cm, 2014
Obwohl seine Ausbildung als Maler und
Kunsterzieher wenig auf die Fotografie hindeutet,
nahm Jörg Boström nach seiner
Berufung 1972 im Kreis der ersten Professoren
der Fachhochschule die fotografisch
expliziteste Position ein. Das gilt für
die von ihm eingeführten Projektstudien
mit durchweg politischen Zielsetzungen,
trifft aber bereits auf die von ihm 1970
in Düsseldorf fotografierte Serie zu, in der
er agitatorisch auf die Situation von
Obdachlosen hinwies. Wie in der frühen
appellativen Fotografie diente die Fotografie
für ihn dem Zweck, auf Missstände
hinzuweisen: das Bild als Beweismittel
im sozialen und mithin politischen Kontext.
Es kam folglich nicht auf ausstellungsreife
Vergrößerungen und schon gar nicht
auf passepartourierte Präsentationen
an, sondern auf authentische Zeugenschaft.
Die Bilder hatten lebendig wie
emotional dicht zu sein. Als solche kamen
sie in Verbindung mit weiteren schriftlichen
Zeugnissen und Dokumenten an die
Wand.
Sebastian Denz
+ SKATEBOARDING.3D, 2006—2007
Scene 17, Stephen Roe (Caveman Boardslide),
London, 2007; 3D Laserchrome Print (anaglyph), 180 × 90 cm
Skateboarding.3D ist die bekannteste
Fotoarbeit von Sebastian Denz. Dafür
reiste er mit einer speziell entwickelten
3D-Großformatkamera mehrere Jahre
auf den Spuren der besten Skateboarder
durch Europa. Zugleich immer auf der
Suche nach Locations, die für sich allein
attraktiv sind. In dieser Verbindung
bekommen die Flips, Gabs und anderen
Tricks der Skater eine noch attraktivere
Visualität. Schon allein die Überlappungen
in Rot und Cyan, auf denen
seine Stereotechnik basiert, geben den
großformatigen Bildern einen besonderen
Reiz. Doch erst in Verbindung mit
der Stereobrille erweitert sich der abgebildete
Raum, und der Betrachter erlebt
die Aktivitäten der Skater geradezu
körperlich. Realität und Imagination verwischen.
Im selben Moment lässt der
Hyperrealismus, wie ihn die Großbildtechnik
schafft, die Welt als künstlich
erscheinen. Und als künstlich wird dann
auch der fotografisch eingefangene
Moment empfunden. Denn nichts zieht
die Akteure auf den Boden.
Andrea Diefenbach
+ LAND OHNE ELTERN, 2008—2010
Catalina, 2009;
Pigment-Inkjetprint, 30 × 40 cm
Mit ihren gesellschaftlich orientierten
Projekten steht Andrea Diefenbach ganz
in der Tradition der anteilnehmenden
Fotografie. Bereits ihre Abschlussarbeit,
in der sie sich mit AIDS in Odessa beschäftigte,
fand ein nachhaltiges Echo.
Für ihr Projekt Land ohne Eltern, 2012
als Buch erschienen, fotografierte sie über
mehrere Jahre immer wieder in Moldawien
und legte dabei den Fokus auf die
armutsbedingten Verhältnisse dieses
Landes. Festzumachen sind diese an dem
Phänomen, dass sich viele Erwachsene
in Ermangelung inländischer Möglichkeiten
im Ausland verdingen – und das um den
Preis, dass sie ihre Kinder zurücklassen
müssen. Diesen Zustand längerer Trennungen
hat Andrea Diefenbach anhand
einzelner Kinderschicksale in Moldawien
ebenso wie in Italien auf der Elternseite
fotografiert. Stilistisch knüpft sie an die
Erzählformen der Life- und Dokumentarfotografie
an, wobei sie es versteht,
die Umstände in eindeutig sprechenden
Situationen zu schildern.
Philipp Dorl
+ IM GLAS, 2011—2013
Slit Backdrop (No. Two), 2013/2014;
Giclée Druck, 70 × 50 cm
Die Mehrzahl der Bilder von Philipp Dorl
lässt das Inszenierte auf den ersten Blick
erkennen. Insofern verkörpert er die
bildgebende Fotografie. In dieses Gesamtensemble
inszenierter Bilder fügen sich
wenige gefundene, also gesehene Bilder
ein. Philipp Dorl geht es um Verbindendes
zwischen den Bildern. Er fotografiert
aber keine Serien, sondern Sichtweisen
auf ein Thema, das sich jedoch nicht sogleich
zu erkennen gibt. Vordergründig
zeigt seine jüngste Arbeit Kameras, Objektive,
ein Notebook, aber auch einen
Schwan. Mythenbesetzt (in Schwanengestalt
auftretend schwängert Zeus
Leda) und männlich konnotiert, öffnet
dieses Motiv den Assoziationsradius
ins Erotische. Damit wandelt sich das Fototechnisch-
Technoide und nimmt sinnlichere
Gestalt an. Der Griff in den offenen
Objektivauszug kann als Penetration verstanden
werden. Und der im Wasser versenkte
Kopf des Schwans – wie ist das
zu deuten? Philipp Dorl vertraut auf das
optisch Unbestimmte, auf den Möglichkeitsraum.
Jürgen Escher
+ WORKS FOR CAP ANAMUR, 1985—2012
Pakistan, 1987;
Pigment-Inkjetprint, 48,3 × 32,9 cm
Die entscheidenden Impulse für seine
spätere Tätigkeit bezog Jürgen Escher aus
der Ende der 1970er-Jahre verbreiteten
sozialdokumentarischen Fotografie. Sie
begründete seinen Lebensentwurf: die
anteilnehmende Fotografie, die sich in
bewusst subjektiver Haltung auf die Seite
der Betroffenen stellt. Diesem Credo
folgend, fotografiert er seit 1985 für die
Hilfsorganisation Cap Anamur/Deutsche
Not-Ärzte e.V., die durch ihr gleichnamiges
Hospitalschiff bekannt wurde. Dazu
kamen andere weltweit etablierte Hilfsorganisationen.
In der Praxis sind gebührende
Zeit vor Ort und Vertrauen für ihn
die Basis seiner Arbeit. Unverzichtbar
vergewissert er sich des Einverständnisses
der von ihm fotografierten Menschen.
Auf der Basis dieser ethischen Haltung
bekommen seine Bilder – und das sind
in des Wortes doppelter Bedeutung vorzugsweise
Menschenbilder – die angestrebte
Glaubwürdigkeit und Authentizität:
Bilder, die emotional berühren und die
zugleich zum Nachdenken anregen.
Sibylle Fendt
+ SEHR GEEHRTE FRAU K., 2011—2012
Büroraum der Ausländerbehörde,
Berlin, 2011; C-Print, 46 × 60 cm
Schon mit ihrer Diplomarbeit über sogenannte
Messies und deren besondere
Lebensgewohnheiten deutete sich das
gesellschaftliche Interesse von Sibylle
Fendt an. Nach der Serie Gärtners Reise,
in der sie einen Mann und dessen dement
gewordene Frau begleitete, befasste
sie sich 2011/2012 mit Asylbewerbern in
Berlin. Ihre Herangehensweise weist noch
Züge der Dokumentation wie der Reportage
auf, hinsichtlich der konzeptionellen
Gestaltung wie der Präsentation kann
aber von einem künstlerischen Ansatz gesprochen
werden. Die Ansichten aus
den Heimen wie aus den Behördenräumen
fotografiert sie nüchtern, menschenleer.
Der Titel Sehr geehrte Frau K. spiegelt die
Kühle dieses Milieus. Im Kontrast dazu
erscheinen die Porträts einzelner Asylsuchender,
aufgenommen in ihrem
authentischen Ambiente und in Rahmen
mit deutlichen Gebrauchsspuren präsentiert.
In dieser Bildmischung geraten
staatliche Verwaltung und individuelles
Schicksal in eine nachdenklich machende
Spannung.
Axel Grünewald
+ BANKETT, 2009—2013
Bankett#6, 2011;
Pigment-inkjetprint, 40 × 50 cm
Seit seinem Studienbeginn, 1976, beschäftigten
Axel Grünewald Themen des
Sozialen, im Besonderen auf seinen zahlreichen
Reisen. Sehr schnell fand er
seinen fotografischen Ausdruck in bewusst
subjektiven Abstraktionen. In seinem
2009 begonnenen Projekt Bankett richtet
er den Fokus auf das Thema ‚Migration‘.
Konkret meint das die topografisch gegebene
Brücke zwischen dem afrikanischen
und dem europäischen Kontinent
an der Meerenge von Gibraltar. Hier
verdichten sich die Menschenströme der
Afrikaner, die von Süd nach Nord drängen.
Seine Farbbilder, die keine konkreten
Orte benennen, die auch nichts Reportagehaftes
vermitteln, bieten dem Betrachter
in ihrer Einzelform und mehr
noch in ihrer Kombination einen assoziativen
Raum. In ihrer Addition animieren
sie zur Reflexion über eine Problematik,
die inzwischen weltgeschichtliche Dimensionen
angenommen hat. Migration,
wie sie hier zu rezipieren ist, findet auf
einer ästhetisch stark abstrahierenden
Ebene statt.
Jürgen Heinemann
+ SÜDAMERIKA, 1962—1983
Indiokult am Titicacasee, Copacabana, Peru, 1962;
Pigment-Inkjetprint, 40 × 50 cm
Wie viele andere Fotografen gehört
Jürgen Heinemann zu denen, für die die
heute legendäre Ausstellung The Family
of Man den entscheidenden Impuls gab.
Zugleich bezog er sein fotografisches
Rüstzeug von Otto Steinert, dem nicht
minder legendären Lehrmeister. Das
Ergebnis seiner anschließenden Reisen,
die ihn mehrfach für karitative Hilfsorganisationen
nach Südamerika führten,
sind eindrückliche Bilder aus den einfachsten
Volksschichten. Im klassischen
Schwarz-Weiß fotografiert, zeichnen
sich seine Beobachtungen durch eine
atmosphärische Dichte aus, die schon
bei den zeitgenössischen Beobachtern
sogleich Anklang fand. Seine Beteiligungen
an den vier Weltausstellungen der
Photographie von 1964 bis 1977 unterstreichen
das. Jede seiner Fotografien ist
in der Handlung dicht, ideal gestaltet,
nah, aber nie aufdringlich, mit einem Wort
existenziell. Menschliches Leben zeigt
sich in seinen Fotografien als Essenz,
bis in den nicht ausgesparten Tod.
Axel Hoedt
+ THREE FACES, 2013—2014
Kristen McMenamy wearing draped Hand Dress,
by Hussein Chalayan, 2013–2014; Pigment-Inkjetprint, 140 × 107 cm
Es ließe sich darüber spekulieren, ob nicht
jedes Porträt als Maskerade verstanden
werden kann, zumindest ansatzweise. Denn
welches ist das wahre Gesicht? Mit seinen
Fastnacht-Bildern, 2013 als Buch erschienen,
hat der in London arbeitende
Axel Hoedt den Fokus ganz offensichtlich
auf die Maskerade gelegt. Das Thema
bedingt das geradezu. Anders, und deshalb
überraschend, fallen die Modefotografien
aus, die er als Teil einer Retrospektive
mit Modellen des Modedesigners Hussein
Chalayan kreiert hat. Schlüpft doch das
berühmte Model Kristen McMenamy in
einen bemalten Strumpf und lässt sich
in dieser Maskierung porträtieren. Und
um die Irritation vollends perfekt zu
machen, auch unter dem Aspekt der Modefotografie,
werden diese Porträts mit
weiteren Bildern kombiniert, die Stoffe
unter dem Mikroskop oder das Haar
von McMenamy zeigen. Das Kreativpotenzial
des Modemachers findet hier seinen
kongenialen Ausdruck in der experimentellen
Bildsprache.
Karl Martin Holzhäuser
+ LICHT-BILDER, 1969—2005
Lichtmalerei, 180.18.2003;
Licht auf SW-Barytpapier, Unikat, 120 × 120 cm
Nach einer Ausbildung als Fotograf absolvierte
Karl Martin Holzhäuser eine ihn
deutlich prägende akademische Ausbildung.
Neben Max Benses Normativer
Ästhetik, die ihn theoretisch inspirierte,
hatte die Auseinandersetzung mit seinem
Lehrer Kilian Breier den größten
Einfluss auf seine künstlerische Entwicklung.
Mit seinen Mechano optischen
Untersuchungen und infolge seines frühen
Kontaktes mit Gottfried Jäger gehörte
er alsbald mit zum Kreis der Generativen
Fotografie. Von diesen Arbeiten ausgehend,
in denen er die Gesetze der Optik
zwar nutzte, die er aber zugleich auch
erweiterte, gelangte er zur Lichtmalerei
mit gleichfalls gegenstandslosen Bildern.
Diese wurde zu seiner künstlerischen
Handschrift. Technisch gesprochen trägt
er mit einem von ihm erfundenen Lichtpinsel
farbiges Licht auf fotografisches
Farbpapier. Ästhetisch eröffnet dies
einen Kosmos möglicher Bildgestaltungen.
Eben den hat Karl Martin Holzhäuser
auf seine ganz eigene Weise ausgefüllt.
Gottfried Jäger
+ GENERATIVE ARBEITEN, 1967—2008
Lochblendenstruktur 3.8.14 F, 1967; Camera obscura-Arbeit,
Silbergelatineprint, 50 × 50 cm, 2008
Seit Mitte der 1960er-Jahre – und von
den frühen Informationstheorien inspiriert
– lotet Gottfried Jäger, Begründer
der Generativen Fotografie, die bildschaffenden
Möglichkeiten des technischen
Mediums Fotografie aus. Sein radikaler
Ansatz negiert alle Konventionen. Eckpunkt
dieser Bildproduktion sind die Lochblendenstrukturen
von 1967. Als weitere
kameralose Bilder folgten in den frühen
1980er-Jahren die mit einer Mehrfachoptik
im Großformat aufgenommenen
farbigen Luminogramme. Daran schlossen
vielgestaltige Fotopapierarbeiten an,
in denen das Objekthafte des Fotomaterials
zum entscheidenden ästhetischen
Bildgegenstand wird. Und schließlich reduziert
Jäger auch die grenzenlosen
Möglichkeiten der Digitaltechnik auf ihren
bildgebenden Kern, indem er den fotobasierten
Photoshop-Programmen gegenstandslose,
aber ästhetisch und in
ihrem Charakter konkrete Bilder entlockt:
Datenbilder.
Sara-Lena Maierhofer
+ PROXIMA, 2014
Distance Study, 2014;
Pigment-Inkjetprint
Wie schon in ihrer erfolgreichen Diplomarbeit
Dear Clark, in der sie einem real
existierenden Hochstapler mit unterschiedlichsten
Bildern, Dokumenten und Objekten
eine fiktive Biografie gab, bestimmt
das Fiktive nun auch ihre neue Arbeit
Proxima. Thematisch geht es um die Frage
der Distanz – der Distanz zwischen Menschen
und Lebewesen. Welcher Abstand
ist geboten? Das gilt im Leben allgemein,
aber nicht weniger in der fotografischen
Praxis. Wie nah darf und kann
ich jemandem mit der Kamera kommen.
Ausgehend von Dr. J. Halls Nachlass,
dem virtuellen Wissenschaftler, nähert
sich Sara-Lena Maierhofer dem Problemfeld
Distanz. Tatsächliche wissenschaftliche
Aussagen finden genauso Beachtung
wie Überlegungen zu generellen Phänomenen
wie Voyeurismus oder Stalkertum.
Selbst inszenierte wie gefundene Fotografien,
Collagen, Dokumente, Objekte
und vermeintlich hinterlassene Videos
verleihen den möglichen Fragen und Antworten
in einer Gesamtinstallation
Ausdruck.
Norbert Meier
+ STANDORTBESTIMMUNG, BIELEFELD, 2014
Standortbestimmung, Bielefeld, 2014;
(25.2.2014, 14 Uhr – 21.7.2014, 10 Uhr)
Als in Bielefeld seit Jahren etablierter
Künstler hat Norbert Meier seine Installation
aus den Gegebenheiten der Alten
Stadtbibliothek entwickelt und dann realisiert.
Ausgangspunkt seiner Überlegungen
war das um den ellipsenförmigen
Lichthof führende Geländer auf der
1. Etage, das in 48 Felder unterteilt ist.
Jedes dieser Felder füllt eine Glasscheibe.
Deren Seitenstege hat er auf dem Bauplan
mit einem Gitternetz überspannt,
das er dann in vergrößertem Maßstab
auf den Stadtplan Bielefelds übertragen
hat. An den auf diese Weise ermittelten
Schnittstellen entstanden dann jeweils
vier von ihm in alle Himmelsrichtungen
fotografierte Ansichten. Diese sind nun
in Teilen als transparente Bilder auf den
48 Glasscheiben zu sehen. In Zeiten von
GoogleEarth, das jeden Punkt auf dem
Globus nach Wunsch visualisiert, ist ein
Gegenmodell entstanden, bei dem Kalkül
und Zufälligkeit eine überraschende
Verbindung eingehen. Bielefeld als
Künstlerprojektion.
Tomek Mzyk
+ ARCHIDEOLOGIE, 2013
Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Straße,
Hannover, 2013; Pigment-Inkjetprint, 120 × 80 cm
Bereits 2009 hat sich Tomek Mzyk in
seiner Arbeit Outopia fotografisch wie
in einem Video mit der Architektur in
Hannover beschäftigt, wo er seit Jahren
wohnt. Dabei ging es ihm um die Fragwürdigkeit
des aus den 1970er-Jahren
überkommenen Ihme-Zentrums mit
seiner mittlerweile desolaten Bausituation.
In seiner jüngsten Arbeit mit dem
Titel Archideologie richtet er erneut einen
nicht minder kritischen Blick auf Hannovers
Architektur. Stilistisch fallen seine
Fotografien durch ihre sachliche, formal
wie inhaltlich klare Bildsprache auf, die
bis in die flächige Abstraktion vordringt.
Vornehmlich dann, wenn er Bauten aus
Beton, diesem für Fortschritt stehenden
Baumaterial, in den Fokus rückt. Der
Einsatz des heute eher antiquiert wirkenden
Schwarz-Weiß unterstützt die von
ihm angestrebte Bildwirkung auf ideale
Weise. Die Hannoveraner, denen die von
ihm aufgenommenen Bauten bekannt
sein werden, dürften seine Bilder über
ihren ästhetischen Reiz hinaus auch
schockieren.
Philipp Ottendörfer
+ GAMBIT, 2014
Verpackung 2, 2014;
Pigment-Inkjetprint, 50 × 40 cm
Welcher konzeptionell-theoretische
Hintergrund den Arbeiten von Philipp
Ottendörfer zugrunde liegt, zeigte
er 2012 mit seiner Ausstellung Truth or
Dare – Die Wahrheit der Fotografie in
der Bielefelder Kunsthalle. In seiner jüngsten
Arbeit findet dieser Ansatz eine
Fortsetzung. Er zielt auf Grundsätzliches,
auf Reflexion über Fotografie als Medium
unserer Welt. Ottendörfer fotografiert
deshalb nicht die hinlänglich bekannten
Bildmotive. Neben ungewöhnlichen Motiven
kommen inszenierte ins Spiel – Spiel
deshalb, weil sie keine Verbindlichkeiten
bieten. Mag das Abgebildete noch so
präzise fotografiert worden sein. Auffallend
die Fotografien in seinen Fotografien,
der Umgang mit den Bildebenen.
Wo liegt die Botschaft, wo die Wirklichkeit,
auf welcher Ebene des Sichtbaren?
Dass mit der Digitalisierung der Glaube
an das Wahre in Fotografien verloren
ging, liegt außerhalb jedes Zweifels. Aber
was sehen wir? Ottendörfers Bilder
regen an, darüber weiter nachzudenken.
Emanuel Raab
+ BILDRAUM, 2013—2014
BildRaum #1, 2013;
Pigment-Inkjetprint, 90 × 120 cm
Als wiederkehrende Strategie führt
Emanuel Raab den Betrachter seiner Bilder
auf den ersten Blick in die Irre. Was wie
ein Sozialporträt nach der Art von August
Sander erscheint, entpuppt sich als soziologisch
und auch sonst wenig konkrete
Darstellung eines Menschen – bewirkt
durch den schwarzen Hintergrund wie
durch das Fehlen weiterer Angaben zur
Person wie zum Ort. Was für aktuelle Werbefotografie
heutiger Jugendmode
gehalten werden könnte, verweist bei
genauer Betrachtung auf zeittypisches
Outfit und Verhalten. Und schließlich
lassen seine jüngst fotografierten Innenansichten
vermuten, es handele sich
um formvollendete computergenerierte
Bilder. Doch auch hier bleibt Emanuel
Raab buchstäblich bei der Wahrheit, also
der authentischen Fotografie. Die Kunst
leitet sich aus dem speziellen Sehen, dem
Fixiertsein auf das Wesentliche ab und
im Idealfall aus dem Erreichen des Metaphorischen,
der übergeordneten Ebene
hinter dem vordergründig Sichtbaren.
Leif Schmodde
+ MODELS, 2014
Jannik, 23, Lüneburg, 2014;
Pigment-Inkjetprint, 94 × 74 cm
Professionalität ist in der bildnerischen
Fotografie kein Makel, sondern ein
Gütesiegel. Insofern meint Professionalität
in Verbindung mit der von Leif
Schmodde konzipierten Porträtserie junger
weiblicher wie männlicher Models, dass
ihr die Herkunft aus der angewandten Fotografie
anzusehen ist. Das angemessene
Hairstyling und Make-up sind ebenso unübersehbar
wie die Lichtgestaltung
unter Studiobedingungen und die optimale
fototechnische Ausführung. Dass es
sich um eine freie, eigenständig konzipierte
und realisierte Arbeit handelt, lässt
das einheitlich schwarze Outfit der Modelle
erkennen. Dazu gehört als weiteres
Spezifikum das Serielle im Bildaufbau.
Unverkennbar die für unsere Tage auffälligen
verschiedenen Ethnien, wie sie
auch in der Werbung anzutreffen sind.
Das ist der Bereich, in dem diese jungen
Frauen und Männer, die hier ganz persönlich
auftreten, Erfolg als Models haben
oder nicht. Das entscheidet letztlich
gesellschaftliches Übereinkommen.
Sabine Schründer
+ EVA 04, 1999 ELLIPSEN, 2010
Tower, 2010;
Pigment-Inkjetprint, 52 × 62 cm
Mit ihrer in Japan entstandenen Diplomarbeit
Eva-04 war Sabine Schründer
Teil der deutlich veränderten Fotografie
Ende der 1990er-Jahre, die sich – theoretisch
stärker fundiert – auf assoziatives
Erzählen ausrichtete. Die von ihr thematisierte
Jugendkultur fotografierte sie in
situativen Momenten und kombinierte
diese Motive mit gezielt arrangierten Porträts.
In ihrer 2010 abgeschlossenen
Serie Ellipsen setzt sie die Möglichkeiten
digitaler Bildbearbeitungen bewusst
gestaltend ein. Dem Titel entsprechend,
im Griechischen bedeutet Èlleipsis Fehlen,
Aussparung, Auslassung, entfernt sie
bestimmte Bildelemente und schafft so
Lücken. Andererseits ergänzt sie Bildteile.
In die erweiterten Räume bricht Unausgefülltes
ein. Übertragen auf unsere
Zeit mit dem Anschein des Übervollen in
allen Bereichen, existieren demgegenüber
gesellschaftliche wie emotionale
Leerräume. Auch die weiträumige Installation
nur weniger Bilder suggeriert
Auslassungen.
Andrea Sunder-Plassmann
+ TABLEAUX VIVANTS, 2012
Tableaux Vivants, 2012;
Videostill aus der Videoinstallation
Die neuen technischen Medien nahmen
in Andrea Sunder-Plassmanns künstlerischer
Arbeit von Beginn an eine zentrale
Stelle ein, ebenso wie Rauminstallationen.
Thematisch beschäftigte sie besonders
das Porträt. In ihrer 2012 entstandenen
Videoarbeit tableaux vivants nimmt
sie die historische Form lebender Bilder
auf. Die in zwei Reihen posierenden Personen
sind zwar einheitlich hell bekleidet;
dennoch ist kein Gruppenzusammenhalt
erkennbar. In wechselnde Farben
eingebettet, denen synchron Dreiklänge
unterlegt sind, lassen die verlangsamt
projizierten Personen unterschiedliche
Emotionen erkennen. Mit den aus dem
Bild herausführenden unkoordinierten
Blicken knüpft Andrea Sunder-Plassmann
bewusst an raumgreifende Gruppenbilder
des Renaissancekünstlers Piero Della
Francesca an (um 1420 bis 1492). Die
Projektion in einem weiß gestrichenen und
deshalb die Farben reflektierenden Raum
bindet den Betrachter mit all seinen
Sinnen in das emotionale Geschehen ein.
Christian Tiefensee
+ LACKIERTES UNBEHAGEN, 2008—2009
Promenade, 2008;
Lightjetprint, 40 × 50 cm
Dass wir in einer Zeit leben, in der Bilder
alles überformen, ist ein genauso verbreiteter
Gemeinplatz wie die Feststellung,
alles sei bereits fotografiert worden.
Für den Umgang mit fotografischen Bildern
hatte und hat das zur Folge, dass es
nicht mehr so sehr darauf ankommt,
bestimmte Motive selbst fotografiert zu
haben. Deshalb gehört es zum Konzept
von Christian Tiefensee, sowohl von ihm
selbst aufgenommene als auch gefundene
Fotografien zu verwenden. Das einzelne
Bild soll zwar bedeutungsvoll
sein und eine gewisse Qualität haben, mehr
zählt aber der Akkord des Bildensembles.
Das meint: In der Summe sollen die
eingesetzten Bilder beim Betrachter,
der frei assoziieren darf, einen Klang oder
anders formuliert ein Gefühl erzeugen.
Das ist auch mit der Serie Lackiertes Unbehagen
intendiert, in der beim Trödler
gefundene alte Urlaubsbilder ihren Platz
gefunden haben. Was bereitet hier
Unbehagen – und warum lackiert? So viele
Antworten wie Betrachter.
Dagmar Weiß
+ QUARTETT, 2014
Quartett, 2014;
Videostill aus der Videoinstallation
Seit ihrem Graduiertenstudium bei
Eija-Liisa Ahtila in Helsinki und mithin
einer der international renommiertesten
Videokünstlerinnen Finnlands ist
das Filmische für Dagmar Weiß wichtigstes
Ausdrucksmittel. Ihre neueste Installation
basiert auf der Kombination
von vier Videosequenzen. Jede dieser
Sequenzen ist auf eine Szene konzentriert,
die für sich abläuft. Die filmisch
vorgestellten Personen gehen minimalen
Aktivitäten nach, begleitet von
Geräuschen und Tönen, nicht jedoch
von Sprache. Bei näherer Beobachtung
interagieren die Szenen sowohl visuell
als auch akustisch untereinander. Eingebunden
in den Projektionsraum, entscheidet
die je eingenommene Nähe zu
den szenischen Bildern, was der Betrachter
akustisch wahrnimmt. Insofern
gibt es ein Interferieren auf der Basis
der Töne wie der Bilder, das von der eingenommenen
Position wie Blickrichtung
determiniert wird. Der Beobachter
wird folglich im Zuge seines Interagierens
zum Mitkreator des Kunstwerks.
Paula Winkler
+ EXCEPTIONAL ENCOUNTERS, 2011—2014
Encounter #27, 2011;
Pigment-Inkjetprint, 80 × 60 cm
Die jüngsten Porträts von Männern,
die vor Paula Winklers Kamera posiert
haben, entstanden in Hotelzimmern.
Sie resultieren aus Treffen, die etwas von
einem Blind Date haben. Denn angebahnt
wurden sie in Internetforen, in
denen normalerweise sexuell ausgerichtete
Dates verabredet werden.
Im technischen Sinn ebenso wie in der
seriellen Ausführung bewegen sich die
Porträts in bekannten Bahnen. Dass eine
Frau Männerakte fotografiert, ist so
selten auch nicht mehr. Ungewöhnlicher
dagegen sind die Inszenierungen und
letztlich die freimütigen Zurschaustellungen
der Körper. Am auffälligsten
rücken die Tattoos als Körperornamentik
in den Blick, zumal sie visuell mit den
hoteltypischen Wandgestaltungen korrespondieren.
Wie die Tattoos oder andere
Körpermerkmale etwas über individuelle
Identitäten aussagen, ergibt sich in
der Addition der Porträts ein Spiegelbild
eines veränderten Körperbewusstseins
der Männer von heute wie aktuell
gelebter Körperlichkeit.